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Arbeitsschwerpunkte

  • Integrative Lese- und Mediendidaktik
  • Bilderbücher und ihre Didaktik
  • Deutschunterricht und Digitalität

Dissertationsprojekt

Thema: Designbasierte Modellierung, Implementation und Evaluation eines Medienverbünde integrierenden Lautleseförderverfahrens mit professionellem Tutor zur Förderung von Leseflüssigkeit und -motivation eines leseschwachen Viertklässlers

Betreuung: Prof.'in Dr. Petra Anders (Humboldt-Universität zu Berlin, Erstbetreuung) & Prof. Dr. Michael Staiger (Universität zu Köln, Zweitbetreuung)

 

Exposé

Ein Viertel bis ein Achtel aller Schüler:innen in Deutschland und Österreich können am Ende von Klasse 4 nicht richtig lesen (vgl. Weis et al. 2019; Wallner-Paschon/Itzlinger-Bruneforth/Schreiner 2017). So kommt es, dass nach einem Befund der IGLU-Studie von 2016 und der PISA-Studie von 2018 ein Fünftel aller Kinder und Jugendlichen nicht in der Lage ist, einfache Texte zu verstehen, sprich auf Grundschulniveau zu lesen (vgl. Bos et al. 2017, S. 15; Weis et al. 2019, S. 60). Dieser seit der ersten PISA-Studie wiederkehrende Befund ist alarmierend, denn das Lesen stellt auch und gerade in unserer Mediengesellschaft noch immer eine unverzichtbare Kulturtechnik dar (vgl. u.a. Hurrelmann 2015, S. 22; Rossbacher 2010, S. 25). Hinsichtlich geringer Literalisierung gelten jene Kinder als besonders gefährdet, deren Eltern ein niedriger sozioökonomischer Status zukommt – insbesondere Jungen mit Migrationshintergrund (vgl. Diedrich et al. 2019; Hurrelmann 2013, S. 161; Naumann et al. 2010, S. 46).

Indessen ist das Konzept der systematischen schulischen Leseförderung nach Rosebrock & Nix (2014) in der Lesedidaktik fest verankert. In diesem wird durchweg vom Buch zum Buch gefördert. These meiner Arbeit ist, dass Schüler:innen mit verfestigten lesebezogenen Ablehnungshaltungen den Weg zum Buch über das Buch nicht (mehr) finden können. Diese Kinder brauchen alternative Förderverfahren, die ihre dominant audiovisuell ausgerichteten Wahrnehmungsgewohnheiten aufgreifen und komplexitätsgerichtet hin zum Schrifttext des Buches erweitern. Die Funktion von Medienverbünden zur Erweiterung literarästhetischer Praktiken wurde schon mehrfach gezeigt (vgl. zuletzt Kruse 2019). Mit dem „Tandemlesen im Medienverbund“ soll ein medienintegratives 1:1-Förderverfahren zur Erweiterung von Leseflüssigkeit und -motivation modelliert und evaluiert werden.

Entsprechend soll im Rahmen der anzufertigenden Einzelfallstudie exploriert werden, unter welchen Bedingungen und wie weit die Fluency sowie Motivation eines bekennenden Nichtlesers gefördert werden können. Dazu wurde ein in benachteiligter sozialer Lage, am Rande einer Großstadt lebender Viertklässler namens Boris, in einem kombinierten Lernarrangement aus kinderliterarischem Medienverbund und Lautlesetandem, zwischen Oster- und Sommerferien 2018, von einem professionellen Lesetutor am Nachmittag gefördert. Alle Sitzungen wurden vollständig audiografiert und zu jeder Sitzung retrospektiv auf Basis von Feldnotizen ein Beobachtungsprotokoll angefertigt.

Während des Projektverlaufs wurden die Rohdaten dazu genutzt, durch die kontrollierte Veränderung von unabhängigen Variablen das Arrangement hinsichtlich seiner Passung für den Schüler zu optimieren. Nach Projektende wurde jede Sitzung zum einen im Hinblick auf Leseflüssigkeit ausgewertet, indem die Lesesequenzen des Schülers getrackt und mit Hilfe einer eigens für diese Arbeit erweiterten Variante des Lautleseprotokolls nach Clay (2016) bzw. Rosebrock et al. (2017) vierdimensional analysiert wurden, und zum anderen im Hinblick auf Lesemotivation ausgewertet, indem jede Sitzung auf resonanzhaltige Momente das Lesen betreffend geprüft und diese zu ethnografischen Vignetten nach dem Innsbrucker Ansatz (vgl. u.a. Schratz/Schwarz/Westfall-Greiter 2012) verdichtet wurden. Diese Vignetten werden im Hinblick auf lesemotivationsförderliche Momente des Arrangements mit Hilfe der inhaltlich strukturierenden qualitativen Inhaltsanalyse aktuell untersucht (vgl. u.a. Kuckartz 2016, S. 97–121). In der Zusammenschau der quantitativen und qualitativen Befunde sollen Schlussfolgerungen im Hinblick auf Gelingensbedingungen und Hemmungsfaktoren des entwickelten Förderverfahrens möglich werden.

 

Literaturverzeichnis

Bos, Wilfried et al. (2017): IGLU 2016: Wichtige Ergebnisse im Überblick. In: Hußmann, Anke et al. (Hrsg.): IGLU 2016. Lesekompetenzen von Grundschulkindern in Deutschland im internationalen Vergleich. Münster/New York: Waxmann, S. 13–28.

Clay, Marie M. (2016): Literacy Lessons. Designed for Individuals. 2nd ed. Auckland, New Zealand: The Marie Clay Literacy Trust.

Diedrich, Jennifer et al. (2019): Lesebezogene Schülermerkmale in PISA 2018: Motivation, Leseverhalten, Selbstkonzept und Lesestrategiewissen. In: Reiss, Kristina et al. (Hrsg.): PISA 2018. Grundbildung im internationalen Vergleich. Münster: Waxmann, S. 81–109.

Hurrelmann, Bettina (2013): Ein erweitertes Konzept von Lesekompetenz und Konsequenzen für die Leseförderung. In: Auernheimer, Georg (Hrsg.): Schieflagen im Bildungssystem. Die Benachteiligung der Migrantenkinder. 5. Auflage. Wiesbaden: Springer VS, S. 161–176.

Hurrelmann, Bettina (2015): Modelle und Merkmale der Lesekompetenz. In: Bertschi-Kaufmann, Andrea (Hrsg.): Lesekompetenz – Leseleistung – Leseförderung. Grundlagen, Modelle und Materialien. 5. Auflage. Seelze/Zug: Klett Kallmeyer; Klett u. Balmer, S. 18–28.

Kruse, Iris (2019): Trivialität, Komplexität, Intermedialität – Praxistheoretische Perspektiven auf Medienverbunddidaktik und intermediale Lektüre. In: Maiwald, Klaus (Hrsg.): Intermedialität. Formen – Diskurse – Didaktik. Baltmannsweiler: Schneider Hohengehren, S. 111–130.

Kuckartz, Udo (2016): Qualitative Inhaltsanalyse. Methoden, Praxis, Computerunterstützung. 3., überarbeitete Auflage. Weinheim/Basel: Beltz Juventa.

Naumann, Johannes et al. (2010): Lesekompetenz von PISA 2000 bis PISA 2009. In: Klieme, Eckhard et al. (Hrsg.): PISA 2009. Bilanz nach einem Jahrzehnt. Münster: Waxmann, S. 23–71.

Rosebrock, Cornelia et al. (2017): Leseflüssigkeit fördern. Lautleseverfahren für die Primar- und Sekundarstufe. 5. Auflage. Seelze: Klett Kallmeyer.

Rosebrock, Cornelia/Nix, Daniel (2014): Grundlagen der Lesedidaktik und der systematischen schulischen Leseförderung. 7., überarb. und erw. Aufl. Baltmannsweiler: Schneider Hohengehren.

Rossbacher, Karlheinz (2010): Lesen. Was sonst? Eine Abschiedsvorlesung als Eröffnungsvortrag. In: Beutner, Eduard/Tanzer, Ulrike (Hrsg.): Lesen. Heute. Perspektiven. Innsbruck: StudienVerlag, S. 15–28.

Schratz, Michael/Schwarz, Johanna F./Westfall-Greiter, Tanja (2012): Lernen als bildende Erfahrung. Vignetten in der Praxisforschung. Innsbruck: StudienVerlag.

Wallner-Paschon, Christina/Itzlinger-Bruneforth, Ursula/Schreiner, Claudia (2017): PIRLS 2016. Die Lesekompetenz am Ende der Volksschule. Erste Ergebnisse. Graz: Leykam.

Weis, Mirjam et al. (2019): Lesekompetenz in PISA 2018 – Ergebnisse in einer digitalen Welt. In: Reiss, Kristina et al. (Hrsg.): PISA 2018. Grundbildung im internationalen Vergleich. Münster: Waxmann, S. 47–80.