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Donnerstag, 30.11.2023

Abstracts

Block 1: Medizinische Kommunikation und Beratung

11.00h - 11.45h

"das ist ja so_n ÜBERbegriff" - Metasprache und terminologische Differenzierungen in der medizinischen Risikoaufklärung (Vortrag; Carolin Schwegler, Köln)

Medizinische Risikoaufklärung und -beratung ist eine Form der Kommunikation zwischen Ärzt*innen und Patient*innen, die in vielen klinischen Bereichen immer häufiger notwendig wird, da sich die prädiktive Medizin rasant entwickelt. Nicht überall – wie u.a. im Bereich der genetischen Risikovorhersagen (Sarangi 2009) – gibt es ethische und rechtliche Leitlinien oder entsprechende Trainings für ärztliches Personal. Neuere und sich schnell entwickelnde Bereiche, wie beispielsweise die biomarkerbasierte Früherkennung von Alzheimer und die damit einhergehende Vorhersage von Demenzrisiken, verfügen noch nicht über Best-Practice-Anleitungen (Rostamzadeh & Jessen 2020). In diesen Kontexten sind aufklärende Ärzt*innen angehalten, ihre Patient*innen möglichst umfassend zu informieren, um deren selbstbestimmte Entscheidungsfindung möglich zu machen (Alpinar-Sencan & Schicktanz 2020; Prvulovic & Hampel 2011).

Aus linguistischer Perspektive können entsprechende Gespräche zum Genre der helfenden Interaktion (Graf & Spranz-Fogasy 2018) gezählt werden (Schwegler 2021). Die komplexen (biomedizinischen und probabilistischen) Grundlagen, die dabei im Gespräch zwischen Ärzt*innen, Patient*innen und Angehörigen vermittelt werden, sowie ebenfalls der Forschungs- und Studienkontext führen zu Spezifika der Ko-Konstruktion von Wissen (Deppermann 2018; Lehtinen 2013) sowie zu kommunikativen Herausforderungen für die Sprecher*innen. Interaktionslinguistisch können hierbei interessanten Praktiken der metasprachlichen Strukturierung und Begriffsdifferenzierung, der (Re-)Formulierung (Gülich 1994; Kotschi 2001) sowie der damit einhergehenden rhetorischen Umfokussierung (Günthner 2019) herausgearbeitet werden, die im Beitrag anhand von ausgewählten Beispielen sequenzanalytisch vorgestellt werden sollen.

Literatur:

Alpinar-Sencan, Z., & Schicktanz, S. (2020). Addressing ethical challenges of disclosure in dementia prediction: Limitations of current guidelines and suggestions to proceed. BMC Medical Ethics 21(2020), Article 33.

Deppermann, A. (2006). Wissen im Gespräch. In:  K. Birkner und N. Janich (Hrsg.), Handbuch Text und Gespräch. Berlin/Boston: De Gruyter (pp. 104–142).

Graf, E.-M., & Spranz-Fogasy, T. (2018). Helfende Berufe – helfende Interaktionen. In: K. Birkner & N. Janich (Eds.), Handbuch Text und Gespräch. HSW 5. Berlin/Boston, De Gruyter (pp. 421–443.)

Gülich, E. (1994).  Formulierungsarbeit im Gespräch In: S. Cmejrkova S (Hrsg.), Writing vs. speaking: language, text, discourse, communication. Tübinger Beiträge zur Linguistik, 392. Tübingen: Narr (pp. 77–95).

Günthner, S. (2019). ‚Kultur-in-kommunikativen-Praktiken‘. Kommunikative Praktiken zur Übermittlung schlechter Nachrichten in onkologischen Aufklärungsgesprächen. In: J. Schröter, S. Tienken & Y Ilg et al. (Hrsg.), Linguistische Kulturanalyse. Berlin/Boston, De Gruyter (pp. 269–292).

Kotschi, T (2001). Formulierungspraxis als Mittel der Gesprächsaufrechterhaltung. In: K. Brinker et al. (Hrsg.), Text- und Gesprächslinguistik, 2. Halbband. ­(pp. 1340–1348).

Lehtinen E. (2013). Hedging, knowledge and interaction: doctors’ and clients’ talk about medical information and client experiences in genetic counseling. Patient Education and Counseling, 92(1), 31–7.

Prvulovic, D., & Hampel, H. (2011). Ethical considerations of biomarker use in neurodegenerative diseases – a case study of Alzheimer’s disease. Progress in Neurobiology, 95(4), 517–519.

Rostamzadeh, A. & Jessen, F. (2020). Früherkennung der Alzheimer-Krankheit und Demenzprädiktion bei Patienten mit leichter kognitiver Störung. Nervenarzt, 91, 832–842.

Sarangi, S. (2009) The Spatial and Temporal Dimensions of Reflective Questions in Genetic Counseling. In: A. Freed & S. Ehrlich (Hrsg.) Why Do You Ask? The Function of Questions in Institutional Discourse. Oxford, OUP (pp. 235–255).

Schwegler, C. (2021). Prädiktive Medizin als Gegenstand linguistischer Untersuchungen. In: M. Iakushevich, Y. Ilg & T. Schnedermann (Eds.), Linguistik und Medizin. Sprachwissenschaftliche Zugänge und interdisziplinäre Perspektiven. SuW 44. Berlin/Boston, De Gruyter (pp. 359–378).


11.45h - 12.30h

"Das ist eine ganz unfassbar sensible Thematik": Die Modulierung von Zuständigkeit für das Thema psychische Gesundheit in Interviews mit Arbeitsvermittler*innen (Vortrag; Daniela Böhringer, Duisburg-Essen)

Der Beitrag berichtet aus einem Forschungsprojekt, das sich mit dem Umgang mit psychischer Gesundheit von Geflüchteten in Jobcentern beschäftigt. Dazu werden vor allem Vermittlungsfachkräfte an acht verschiedenen Standorten zu ihrer Wahrnehmung der psychischen Gesundheit bei Geflüchteten befragt. Hintergrundannahme ist, dass im Bereich der öffentlichen Arbeitsverwaltung den sogenannten street-level bureaucrats (Lipsky 1980) eine wichtige Rolle bei der „Entdeckung“ psychischer Einschränkungen und der weiteren Prozessierung (Hasenfeld 1972) der betreffenden Personen zukommt. Street-level bureaucrats setzen in direktem Kontakt zu Bürger*innen politische und administrative Rahmungen praktisch um. Dabei bildet das Gespräch in der Interaktion das zentrale Handlungsinstrument (Böhringer et al. 2012; Wolff 1986; Seltzer et al. 2001; Hitzler 2012).

Ein wichtiger inhaltlicher Befund aus dem Projekt ist, dass die Befragten angeben, über das Thema nicht viel zu wissen, dafür nicht so richtig zuständig zu sein und in ihrer Arbeit kaum damit konfrontiert zu werden. Dennoch dauern die Interviews über eine Stunde, denn das Sprechen über das Sprechen über psychische Gesundheit nimmt in den Interviews breiten Raum ein.

Nun sind Interview-Daten nicht die erste Wahl für konversationsanalytische Studien. Aber Interviews als Interaktionssituationen und als Orte und Gelegenheiten sozialer Positionierung und der Konstituierung von Sinn zu verstehen, ist aus ethnomethodologisch-konversationsanalytischer Perspektive aufschlussreich (vgl. Baker 2003; Roulston 2006).

Im Fall der vorliegenden Interviews mit Fachkräften in Jobcentern wird gezeigt, wie das Thema „Sprechen über das Sprechen über psychische Gesundheit“ im Interview interaktiv bearbeitet wird. Es wird gezeigt, wie die Befragten ihre Zuständigkeit für das Thema psychische Gesundheit ausdifferenzieren, indem sie den möglicherweise heiklen Einsatz ihres Handlungsinstrumentes Gespräch in der Interviewinteraktion modulieren und abwägen.

Literatur:

Böhringer, Daniela; Karl, Ute; Müller, Hermann; Schröer, Wolfgang; Wolff, Stephan (2012). Den Fall bearbeitbar halten: Gespräche in Jobcentern mit jungen Menschen. Opladen: Barbara Budrich.

Baker, Carolyn D. 2003. Ethnomethodological analyses of interviews. In: James A. Holstein & Jaber F. Gubrium (eds.), Inside interviewing: New lenses, new concerns, pp. 395–412. London: SAGE.  

Hasenfeld, Yeheskel (1972). People Processing Organizations: An Exchange Approach. In: American Sociological Review, 37 (3), pp. 256–63. https://doi.org/10.2307/2093466.

Hitzler, Sarah (2012). Aushandlung ohne Dissens? Praktische Dilemmata der Gesprächsführung im Hilfeplangespräch. Wiesbaden: VS.

Lipsky, Michael (1980), Street Level Bureaucracy: Dilemmas of the Individual in Public Services. New York, NY: Russell Sage Foundation.

Roulston, Kathryn (2006). Close encounters of the ‘CA’ kind: a review of literature analyzing talk in research interviews. Qualitative Research, 6(4), 515–534. ttps://doi.org/10.1177/1468794106068021

Seltzer, Kullberg, C., Olesen, S. P., & Rostila, I. (2001). Listening to the Welfare State. Routledge, Taylor & Francis Group. https://doi.org/10.4324/9781315250472

Wolff, Stephan (1986). Das Gespräch als Handlungsinstrument. Konversationsanalytische Aspekte sozialer Arbeit. In: Kölner Zeitschrift für Soziologie und Sozialpsychologie,38(1), S. 55 – 84.


Block 2: Praxisberichte

14.00h - 14.45h

Mit Ärzt*innen über Anfallsbeschreibungen von Patient*innen sprechen (Birte Schaller + Heike Knerich, Bielefeld)

 In mehreren Projekten erforscht unsere Arbeitsgruppe aufbauend auf den Arbeiten von Elisabeth Gülich und Martin Schöndienst die verbalen Beschreibungen, die Patient*innen mit anfallsartigen Erkrankungen verwenden (vgl. Gülich & Schöndienst, 1999; Frank-Job, Gülich, Knerich & Schöndienst, 2017). Ein Schwerpunkt liegt auf der Differentialdiagnose epileptischer bzw. psychogener, dissoziativer Anfälle. Diese Unterscheidung ist aus ärztlicher Perspektive besonders relevant, da das „Erscheinungsbild“ beider Anfallstypen für Laien (und Betroffene) kaum differenzierbar ist, die weitere Diagnostik und Behandlung sich jedoch stark unterscheidet. 

Aus unserer Kooperation mit Ärzt*innen des SPZ Bochum ist in den letzten Jahren ein Bewertungsbogen entstanden („Epiling-Bogen“), der die Diagnostik im Erstgespräch mit Patient*innen, bei denen der Verdacht auf eine der beiden Erkrankungen besteht, unterstützt (Opp, Frank-Job & Knerich, 2015; Frank-Job, Knerich, Schaller & Opp, 2021). Im Moment wird der Epiling-Bogen im Rahmen einer medizinischen Dissertation evaluiert (Kreul, in Vorb.). Dazu führen wir gemeinsam Schulungen mit Ärzt*innen durch. Dabei wird der Epiling-Bogen vorgestellt und die einzelnen Kategorien erläutert. Anschließend „diagnostizieren“ die Teilnehmenden Gespräche mit Kindern und Jugendlichen, die ihre Anfälle beschreiben (Aufnahmen aus unserem Korpus). In der Auswertung diskutieren wir mit den Ärzt*innen die einzelnen Kategorien des Bogens und vermitteln dabei (auch) linguistisches Wissen. Zusätzlich bekommen die Teilnehmenden der Schulung ein Handbuch zum Epiling-Bogen, das die einzelnen Kategorien noch mal mit Beispielen erläutert. 

In unserem Bericht aus der Praxis werden wir zunächst kurz den Epiling-Bogen selbst sowie die Schulung und das Handbuch vorstellen. Anschließend wollen wir von unseren Erfolgen und Problemen beim interdisziplinären Sprechen über Sprache berichten. Insbesondere der Punkt „Reduktion“ sprachlichen Wissens (von mehreren Datensitzungen zu einem bestimmten Aspekt bis zum Formulieren dieses Aspekts als Zweizeiler für linguistische Laien) war im Laufe unserer Arbeit immer wieder Thema interdisziplinärer Aushandlung. 

Literatur:

Gülich, E., & Schöndienst, M. (1999). "Das ist unheimlich schwer zu beschreiben." : Formulierungsmuster in Krankheitsbeschreibungen anfallskranker Patienten: differentialdiagnostische und therapeutische Aspekte. Psychotherapie & Sozialwissenschaft : Zeitschrift für qualitative Forschung und klinische Praxis, 1(3), 199-227. 

Opp, J., Frank-Job, B., & Knerich, H. (2015). Linguistische Analyse von Anfallsschilderungen zur Unterscheidung epileptischer und dissoziativer Anfälle. Neuropädiatrie in Klinik und Praxis, 14(1), 2-10. 

Frank-Job, B., Gülich, E., Knerich, H., & Schöndienst, M. (2017). Klinische Differenzialdiagnostik und linguistische Analyse von Gesprächen: Neue Wege in Datenerhebung, Analyse und Auswertung im interdisziplinären Forschungskontext. In C. Kochler, T. Rinker, & E. Schulz (Eds.), Cognitio: Vol. 19. Neurolinguistik, Klinische Linguistik, Sprachpathologie: Michael Schecker zum 70. Geburtstag (pp. 185-217). Frankfurt a. M.: Peter Lang. 

Frank-Job, B., Knerich, H., Schaller, B., & Opp, J. (2021). Klinische Gesprächslinguistik. Linguistische Beiträge zur Differenzialdiagnostik. In H. M. Müller (Ed.), Neurokognition : Vol. 5. Sprache in Therapie und neurokognitiver Forschung (pp. 185-213). Tübingen: Stauffenburg. 

Kreul, Katja (in Vorb.). EpiLing-Bogen. Ein neues Diagnostiktool zur Unterscheidung von epileptischen (ES) und psychogenen nicht-epileptischen Anfällen (PNES) anhand der Anamnese. Dissertation. 


14.45h - 15.30h

Zwischen kritischer Analyse und Wunsch nach Good Practice - Rechtliche Betreuer*innen untersuchen Gesprächsauszüge mit dem Fokus Unterstützte Entscheidungsfindung (Ortrun Kliche, Köln)

Die Betreuungsrechtsreform, die am 1.1.2023 in Kraft trat, stärkt die Selbstbestimmung rechtlich betreuter Menschen und stellt ihre Wünsche zentral. Rechtliche Betreuer:innen sind angehalten, durch sog. Unterstützte Entscheidungsfindung (“supported decision making”, UN-Behindertenrechtskonvention, Art. 12) den betreuten Menschen darin zur Seite zu stehen, ihre Wünsche zu entwickeln bzw. zu äußern und zu realisieren. Was Unterstützte Entscheidungsfindung genau ist und wie sie sich sprachlich umsetzen lässt, wird in Fortbildungen anlässlich der Reform verstärkt thematisiert. Aus entsprechenden Veranstaltungen von Ortrun Kliche und Ina Pick sowie Dagmar Brosey, in denen Transkriptauszüge authentischer Betreuungsgespräche eingesetzt werden, werden (noch unsystematisch) Analyseäußerungen der Teilnehmenden ausgewertet. Nach welchen inhaltlichen oder metasprachlichen Kriterien lassen sich die Äußerungen clustern? Können die zitierten Transkriptflächen systematisiert werden? Wiederkehrend sind sehr kritische Ersteinschätzungen der Gesprächsauszüge sowie der Wunsch nach Good Practice-Beispielen.

Literatur:

Brünner, Gisela / Pick, Ina (2020). Bewertungen sprachlichen Handelns und good practice in der Angewandten Gesprächsforschung. Methodische Vorschläge für praxisorientierte Forschung. In: Zeitschrift für Angewandte Linguistik 72, S. 63-98.

Kliche, Ortrun / Pick, Ina (2023). Selbstbestimmung und Unterstützte Entscheidungsfindung in der rechtlichen Betreuung – Ansatzpunkte für good practice im Gespräch. In: Bendel Larcher, Sylvia / Pick, Ina (Hgg.). Good Practice in institutioneller Kommunikation. Berlin, Boston: De Gruyter, S. 245-296.

Kliche, Ortrun / Pick, Ina (2022). Unterstützte Entscheidungsfindung in Konfliktsituationen. Workshop (AG 2) auf dem 18. Betreuungsgerichtstag 14.10.22.

Kliche, Ortrun (2022). Ausschluss ausgeschlossen? Unterstützte Entscheidungsfindung in Gesprächen zu dritt. Webinare im Rahmen der Reihe „Unterstützte Entscheidungsfindung“ am Institut für Innovation und Praxistransfer in der Betreuung.


Block 3: Hochschule

15.45h - 16.30h

Gesprächsideale und Kommunikationsideologien im Kontext partizipativen Forschens: Programmatischer Anspruch und subjektive Erwartungen. (Vortrag; Bettina M. Bock, Köln)

Interakionen zwischen Menschen mit heterogenen sprachlich-kommunikativen und kognitiven Voraussetzungen – also das, was in der Konversationsanalyse als atypical communication (Antaki/Wilkinson 2013) gefasst wird – bergen im Hinblick auf das Gelingen von Kommunikation vielfältige Herausforderungen für alle Beteiligten. Angesichts der Asymmetrie der sprachlich-interaktionalen Kompetenzen sind es in der Regel die Partizipanten mit höheren interaktionalen Kompetenzen, die mehr „communication labor“ leisten und den Fortgang des Gesprächs prägen bzw. dafür verantwortlich sind (Lindholm/Leskelä 2022). Für partizipative Hochschulkontexte, die den Anspruch haben, gesellschaftlich marginalisierte Personenkreise wie die genannten in einer aktiven, selbstermächtigenden Rolle in Forschung und Lehre einzubeziehen (vgl. Unger 2014), entstehen aus dieser Grundkonstellation u.a. Fragen in Bezug auf eine angemessene – „hinreichend partizipative“ und Partizipation ermöglichende – Interaktionsgestaltung, auf typische interaktionale Probleme und kontextsensible Varianten des Umgangs damit, auf Einstellungen und Erwartungen an Interaktionskonstellationen dieser Art. Im Beitrag soll der Fokus auf Gesprächsideale und Vorstellungen gelingender Kommunikation bei Menschen mit Behinderungserfahrung gerichtet werden, die in partizipativen Hochschulprojekten arbeiten.

Im Rahmen des Projekts „LeiSA-parti“ wurden einerseits partizipative Arbeitsbesprechungen audio- und videografiert, zum anderen wurden die Teilnehmenden mit Behinderungserfahrung zu ihren Vorstellungen von ‚guten‘, angemessenen Arbeitsbesprechungen befragt. Diese metapragmatischen Äußerungen bilden den Ausgangspunkt für die Analyse von Kommunikationsideologien und das subjektive Spracherleben der Befragten (vgl. Busch 2015, 2019). Am Beispiel von Sequenzen aus den dokumentierten Arbeitsbesprechungen soll im Vortrag zudem ausschnitthaft illustriert werden, mit welchen Herausforderungen und Spannungsfeldern es die Interaktionsbeteiligten in den genannten Kommunikationskontexten zu tun haben. Es soll dann reflektiert werden, in welchem Verhältnis die (Sprach-)Handlungsideale, wie sie in Empfehlungen zum partizipativen Forschen beschrieben sind, teilnehmerorientierte Ideologien und Erwartungen sowie reale kommunikative Praxis zueinander stehen.

Literatur:

Antaki, Charles/Wilkinson, Ray (2013). Conversation analysis and the study of atypical populations. In: Sidnell, Jack/Stivers, Tanya (Hrsg.): Handbook of Conversation Analysis. Oxford: Blackwell-Wiley, 533–550.

Lindholm, Camilla/Leskelä, Leealaura (2022): A conversation analytical approach to A/Symmetries. Vortrag im Rahmen der Kolloquiumsreihe „A/Symmetrie – interdisziplinäre Perspektiven“. URL: https://www.diejungeakademie.de/de/projekte/a-symmetrie.

Unger, Hella (2014): Partizipative Forschung. Einführung in die Forschungspraxis. Wiesbaden: Springer VS.

Busch, Brigitta (2015): Zwischen Fremd- und Selbstwahrnehmung: Zum Konzept des Spracherlebens. In: Schnitzer, Anna/Mörgen, Rebecca (Hrsg.): Mehrsprachigkeit und (Un)gesagtes: Sprache als soziale Praxis im Kontext von Heterogenität, Differenz und Ungleichheit. Weinheim/ Basel: Beltz Juventa, 49–66.

Busch, Brigitta (2019): Sprachreflexion und Diskurs. Theorien und Methoden der Sprachideologieforschung. In: Antos, Gerd/Niehr, Thomas/Spitzmüller, Jürgen (Hrsg.): Handbuch Sprache im Urteil der Öffentlichkeit. Berlin/Boston: de Gruyter, 107-139.


16.30h -17.30h

Sprechen über Schreiben: (Re-)Konstruktionen der Stimmen von Betreuenden in Schreibberatungsgesprächen (Datensitzung; Andrea Karsten + Simone Tichter, Paderborn)

Im Rahmen unseres Projekts „Talk about writing“ untersuchen wir Schreibberatungsgespräche mit Wissenschaftlerinnen in der Promotions- und Postdoc-Phase [1] im Hinblick darauf, wie die Ratsuchenden über ihr eigenes Schreiben sprechen und sowohl ihren Schreibprozess als auch ihre Texte reflektieren. Im Mittelpunkt des Projekts steht die Frage, welche eigenen und fremden Stimmen (sensu Bachtin, 1929/1985; vgl. z.B. Bertau, 2021) in den Äußerungen der Ratsuchenden in der Beratungsinteraktion wiedergegeben und (re-)konstruiert werden. Das Projekt im Ganzen soll Einblick geben, welche persönlichen und kollektiven Stimmen das Schreiben und die fachlich-akademische Enkulturation der (Post-)Doktorandinnen begleiten und beeinflussen und wie das akademische Selbst auch in der vermeintlich einsamen Tätigkeit des Schreibens dialogisch verhandelt und konstruiert wird (Karsten, 2023a, b, in Druck).

In unserer Datensitzung mit kurzem einführendem Vortrag möchten wir die Frage in den Fokus rücken, wie speziell die Stimmen von Betreuenden persönliche und fachliche Vorstellungen von (gutem) akademischem Schreiben und Texten vermitteln. Dabei beziehen wir uns allein auf die Wiedergabe und (Re-)Konstruktion der Stimmen der Betreuenden in den Äußerungen der ratsuchenden (Post-)Doktorandinnen (vgl. z.B. Günthner, 2002; Tannen, 2007) im Rahmen der Beratungssitzungen, nicht auf tatsächliche Äußerungen der Betreuungspersonen.

Die Beratungsgespräche, die wir im Rahmen der Datensitzung näher betrachten möchten, wurden im Stil der lösungsfokussierten Beratung (z.B. De Shazer & Dolan, 2008) durchgeführt, videographiert und gesprächsanalytisch transkribiert. Themen in den Beratungsgesprächen sind der eigene Schreib- und Qualifikationsprozess der Ratsuchenden und insbesondere Schwierigkeiten dabei und Alternativszenarien dazu. Das konkrete Material für die vorgeschlagene Datensitzung umfasst ausgewählte Sequenzen, in denen die Ratsuchenden die Stimmen der Betreuenden in Bezug auf ihr Schreiben und ihre Texte wiedergeben und (re-)konstruieren. Die Materialauszüge zeigen also ein teils erinnertes, teils imaginiertes Sprechen Anderer über das eigene Schreiben, wie es in der Beratungsinteraktion performiert wird.

Wir nehmen an, dass die wiedergegebenen und (re-)konstruierten Äußerungen der Betreuenden sowohl persönliche als auch generalisierte Stimmen z.B. der Fachcommunity umfassen. Besonders auch letztere Stimmen erscheinen nicht nur in narrativer, sondern auch in multimodal-inszenierter Form, werden also auch prosodisch, gestisch, mimisch etc. auf spezifische Weise hervorgehoben und wahrnehmbar. In der Datensitzung möchten wir zum einen auf methodischer Ebene unser Verfahren der Stimmenanalyse diskutieren. (Bertau & Karsten, in Druck; Karsten, 2023a, in Druck). Zum anderen möchten wir erste Überlegungen dazu anstellen, welche sozialen, kognitiven und weitere Funktionen das Sprechen über Schreiben – speziell in dieser polyphonen Form – im Kontext der Schreibberatung hat.

[1] Alle Teilnehmerinnen sind Frauen in frühen Phasen einer wissenschaftlichen Laufbahn (Promotions- und Postdoc-Phase).

Literatur:

Bachtin, M. M. (1929/1985). Probleme der Poetik Dostoevskijs. Ullstein.

Bertau, M.-C. (2021). Identity and voices: A language dialogical take. In M. Bamberg, C. Demuth, & M. Watzlawick (Eds.), Cambridge handbook of identity (pp. 172-192). Cambridge University Press.

Bertau, M.-C. & Karsten, A. (2023, in Druck). Stimme. Eine dialogische Perspektive. In Karsten, A. & Haacke-Werron, S. (Hrsg.), 40 Begriffe für eine Schreibwissenschaft. wbv.

De Shazer, S., & Dolan, Y. (2008). Mehr als ein Wunder. Die Kunst der lösungsorientierten Kurzzeittherapie. Carl Auer.

Günthner, S. (2002). Stimmenvielfalt im Diskurs: Formen der Stilisierung und Ästhetisierung in der Redewiedergabe. Gesprächsforschung. Online-Zeitschrift zur verbalen Interaktion, 3, 59-80.

Karsten, A. (2023a, in Druck). Voices in dialogue. Taking polyphony in academic writing seriously. Written Communication.

Karsten, A. (2023b, in Druck). Schreiben als Wissensproduktion? Eine Mikroanalyse der Vielstimmigkeit akademischer Selbstbildung und Enkulturation. In S. Leinfellner, F. Thole, S. Simon & J. Sehmer (Hrsg.), Bedingungen der Wissensproduktion. Qualifizierung, Selbstoptimierung und Prekarisierung in Wissenschaft und Hochschule. Barbara Budrich.

Tannen, D. (2007). Talking voices: Repetition, dialogue, and imagery in conversational discourse (2nd edition). Cambridge University Press.

Freitag, 01.12.2023

Block 4: Lehrer*innenbildung

09.00h - 09.45h

Über rhetorisches Handeln sprechen: Die Thematisierung von Kommunikationsidealen in Feedbackprozessen (Vortrag; Cordula Schwarze, Marburg)

Im Beitrag soll gezeigt werden, wie und wozu in einem konkreten Kommunikationskontext – Feedbackgespräche innerhalb eines hochschulischen Seminars – Sprache und sprachliches Handeln thematisiert werden.

Solche Feedbackgespräche sind als institutioneller Interaktionstyp ein explizit reflexionsorientiertes Lehr-Lern-Setting mit eigenen Bildungszielen (prominent darin z.B. der Erwerb professioneller Urteilskraft anhand des Umgangs mit eigenen und fremden rhetorischen Leistungen), das als „handlungsentlastete Sprachreflexion“ (Paul 1999: 4) gefasst werden kann. In diesen Analyse- und Reflexionsprozessen in Gesprächsform werden solche sprachlich-kommunikativen Phänomene des Feedbackobjekts fokussiert, die Relevanz aus einer rhetorischen Perspektive haben. Die interaktive Konstitution dieser sprachreflexiven Prozesse zeichnet sich durch Normbezüge und Normverhandlungen als Aushandlungen ihres Geltungsbereichs in situ, Bewertungen sowie Verhandlungen von Kommunikationsidealen aus. So wird beispielsweise variationsreicher Sprachgebrauch kategorisiert, evaluiert und als „Dialekt“ zu Identitätsaufruf und Identitätszuschreibung genutzt sowie mit der Geltung des Kommunikationsideals der Authentizität in Auseinandersetzung mit dem Konzept der Standard(aus)sprache verknüpft. Auch andere Ideale wie das Oratorideal „frei sprechen können“ sind Gegenstand der Sprachreflexion. Die zentralen Aktivitäten in den Auswertungsgesprächen, die auf Aspekte der Wahrnehmung, der Beurteilung und der Intersubjektivierung des Urteils zielen, stoßen diese sprachreflexiven Prozesse an. Indem gerade die Aspekte der Intersubjektivierung auf die zugrundeliegende Basis hin befragt werden, werden Hinweise auf als geltend gesetzte Normen verschiedener Art gegeben.

Diese unterschiedlichen Formen expliziter Thematisierung von Sprache und sprachlichem Handeln sollen im Vortrag auf der Basis des Korpus „Auswertungsgespräche“ (z.B. Schwarze 2023) gezeigt werden; methodisch wird der multimodalen Interaktionsanalyse gefolgt. In der Diskussion stehen neben den analytischen Ergebnissen die hochschuldidaktischen Konsequenzen im Mittelpunkt sowie die anwendungsbezogenen Konsequenzen für die produktive Gestaltung solcher Lehr-Lern-Settings.

Literatur:

Paul, Ingwer. 1999. Praktische Sprachreflexion. Tübingen: Niemeyer.

Schwarze, Cordula. 2023. „ABER (.) WICHtig (.) wir sehen das ja eher als (.) aus anaLYseperspektive“. Good practice in Feedbackprozessen im Seminar. In: Sylvia Bendel Larcher & Ina Pick (Hg.): Good practice in der institutionellen Kommunikation: Von der Deskription zur Bewertung in der Angewandten Gesprächsforschung. Berlin, Boston: De Gruyter, S. 93-122.


09.45h - 10.30h

Kann man das lernen? Praktiken zur Formfokussierung in der Unterrichtsinteraktion als lehrerseitiger Lerngegenstand (Vortrag; Markus Willmann, Freiburg + Elena Schliecker, Heidelberg)

 Formfokussierungen gelten als wichtiger Teil des sprachlichen Lernens in unterschiedlichsten sprachlichen und fachlichen Lehr- und Lernkontexten (u.a. Willmann 2023; Harren 2015; Ellis 2016), da Sprache im Unterricht immer Medium und Lerngegenstand zugleich ist. Aus gesprächsanalytischer Perspektive setzt dies voraus, dass Lehrkräfte über ein Repertoire interaktionaler Praktiken verfügen können, um im Unterricht das Nachdenken über Sprechen und Sprache zu initiieren und flexibel zwischen fachlichen und sprachlichen Lerngegenständen zu navigieren. Offen ist bis dato die Frage, ob entsprechende interaktionale Verfahren lernbar sind oder ob die individuelle „interaktionale Grundausstattung“ (Schmitt 2011: 234) von Lehrerinnen und Lehrern im Wesentlichen als stabil zu betrachten ist. Erste Studien deuten darauf hin, dass entsprechende Praktiken lehr- und lernbar sein könnten (Carpenter 2023; Sikveland et al. 2023). 

Im Rahmen unseres Vortrags stützen wir uns auf zwei zusammenhängende Forschungsprojekte: Die Datenbasis bilden 675 Min videografierter fachsensibler Zweitsprachunterricht von zwei erfahrenen DaZ-Lehrkräften und 467 Min videografierter naturwissenschaftlicher Unterricht von 5 erfahrenen Lehrkräften der Sekundarstufe und sechs Studierenden am Ende ihres Semesterpraktikums sowie 231 Min videografierter halbstandardisisierter Follow-up Interviews im Anschschluss an den betreffenden naturwissenschaftlichen Unterricht. Die methodologische Grundlagen der Teilstudien sind die angewandte Gesprächsanalyse (Antaki 2011) und die qualitative Inhaltsanalyse (u.a. Kuckartz 2016). 

Wir werden darstellen, 

  • welche Praktiken zur Formfokussierung angewendet werden können und welche kommunikativen und didaktischen Konsequenzen daraus resultieren; 
  • wie die entsprechenden empirischen Ergebnisse für die Aus- und Fortbildung von Lehrkräften diaktisch modelliert (Fiehler 2001) werden können; 
  • ob und wie fortgebildete Lehrkräfte entsprechende Praktiken umsetzen und ob und inwieweit sie reflexiv darauf zugreifen können (Waring und Creider 2021). 

Literatur: 

Antaki, Charles (2011): Applied Conversation Analysis. Intervention and Change in Institutional Talk. Basingstoke: Palgrave Macmillan (Palgrave Advances in Language and Linguistics). Online verfügbar unter http://site.ebrary.com/lib/alltitles/docDetail.action?docID=10636036. 

Carpenter, Lauren B. (2023): Supporting student–teacher development of elicitations over time: a conversation analytic intervention. In: Classroom Discourse 14 (2), S. 109–127. DOI: 10.1080/19463014.2021.1946112. 

Ellis, Rod (2016): Focus on form: A critical review. In: Language Teaching Research 20 (3), S. 405–428. DOI: 10.1177/1362168816628627. 

Fiehler, Reinhard (2001): Gesprächsanalyse und Kommunikationstraining. In: Klaus Brinker, Gerd Antos, Wolfgang Heinemann und Sven F. Sager (Hg.): Text- und Gesprächslinguistik. Ein internationales Handbuch zeitgenössischer Forschung. 2. Halbband (Handbücher zur Sprach- und Kommunikationswissenschaft 16/2). Berlin, New York: de Gruyter, S. 1697–1710. 

Harren, Inga (2015): Fachliche Inhalte sprachlich ausdrücken lernen. Sprachliche Hürden und interaktive Vermittlungsverfahren im naturwissenschaftlichen Unterrichtsgespräch in der Mittel- und Oberstufe. Mannheim: Verlag für Gesprächsforschung. 

Kuckartz, Udo (2016): Qualitative Inhaltsanalyse. Methoden, Praxis, Computerunterstützung. 3., überarbeitete Auflage. Weinheim, Basel: Beltz Juventa (Grundlagentexte Methoden). Online verfügbar unter http://www.beltz.de/fileadmin/beltz/leseproben/978-3-7799-3344-1.pdf. 

Schmitt, Reinhold (2011): Didaktik aus interaktionistischer Sicht. In: Reinhold Schmitt (Hg.): Unterricht ist Interaktion! Analysen zur De-facto-Didaktik. Mannheim: IDS (Arbeitspapiere und Materialien zur deutschen Sprache, 41), S. 225–238. 

Sikveland, Rein Ove; Moser, Thomas; Solem, Marit Skarbø; Skovholt, Karianne (2023): The effectiveness of the Conversation Analytic Role-Play Method (CARM) on interactional awareness: A feasibility randomized controlled trial with student teachers. In: Teaching and Teacher Education 129, S. 104136. DOI: 10.1016/j.tate.2023.104136. 

Waring, Hansun Zhang; Creider, Sarah Chepkirui (2021): Micro-Reflection on Classroom Communication. A FAB Framework. Sheffield, Bristol: Equinox. 

Willmann, Markus (2023): Microscaffolding in Vorbereitungsklassen - Gesprächsanalytische Untersuchung interaktiver Verfahren im Schnittfeld von Sprache, Fach und Lehrwerk. Göttingen: Verlag für Gesprächsforschung. 


Block 5: Mehrsprachigkeit

10.45h - 11.30h

Bedeutungsaushandlungen in WhatsApp-Interaktionen zwischen spanisch-deutschen Tandempaaren (Vortrag; Bettina Kaminski, Sevilla)

Ein vielversprechender Ansatz, um den Spracherwerb zu fördern, sind Sprachlerntandems, bei denen Lernende zweier Sprachen als Tandempaar zusammenarbeiten. In diesem Zusammenhang nimmt die metasprachliche Ebene eine zentrale Rolle ein, da sie den Prozess des Sprachenlernens und der problemlosen Kommunikation unterstützt. Die bisherige Forschung hat die Bedeutung der Metakommunikation in verschiedenen Tandemsettings untersucht – sei es in Präsenz, über Videotelefonie oder Text-Chat – und verdeutlicht, dass Korrekturverfahren, Verstehensdokumentation sowie Sprachreflexion eine zentrale Rolle einnehmen (u.a. Schmelter 2004, O´Rourke 2007, Renner 2017). Die Untersuchung metasprachlicher Episoden und ihre formale Umsetzung  im digitalen interaktionsorientierten Schreiben über Messengerkommunikation (z.B. über WhatsApp) stellt allerdings noch ein Desiderat da (Kaminski 2022). Dieser Beitrag wird sich daher mit den Formen expliziter Thematisierung von Sprache und sprachlichem Handeln in spanisch-deutschen Tandem-WhatsApp-Dialogen anhand von gesammelten schriftlichen Daten beschäftigen. Besondere Aufmerksamkeit gilt dabei den Bedeutungsaushandlungen, in denen es nicht vorrangig um das Beheben eines möglichen Fehlers, sondern um das gemeinsame Lösen von Verstehensschwierigkeiten in der Kommunikation geht. Der sprachbezogene Aushandlungsprozess gelingt durch Bitten um Klärung (clarification requests), Verstehensabsicherungen (confirmation checks) und Verständniskontrollfragen (comprehension checks) (Long 1983).

Literatur

Kaminski, Bettina (2022): WhatsApp-Kommunikation im Sprachlerntandem, Dissertation, Fakultät für Sprach- und Literaturwissenschaften, Universidad de Sevilla.

Long, M. H. (1983): Linguistic and Conversational Adjustments to Non-Native Speakers, in: Studies in Second Language Acquisition, 5/2, 177-193.

O’Rourke, B. (2007): Models of telecollaboration: e-tandem, in: O’Dowd, R. (Hrsg.), Online Intercultural Exchange: An Introduction for Foreign Language Teachers, Clevedon: Multulingual Matters, 41-61.

Renner, J. (2017): Negotiation of meaning and language-related episodes in synchronous, audio-based Chinese-German eTandem, in: Language Learning in Higher Education, 7, 137-159.

Schmelter, L. (2004): Selbstgesteuertes oder potenziell expansives Fremdsprachenlernen im Tandem, Tübingen: Gunter Narr Verlag. 


11.30h - 12.15h

"Beide Sprachen gehören mir, beides ist meins!" - Der Wert von Familien- und Umgebungssprachen für die kroatische Diaspora in Stuttgart (Vortrag; Marijana Totić, Schwäbisch-Gmünd)

In dieser Studie werden Teilnehmerinnen und Teilnehmer aus zwei Generationen mittels leitfadengestützter Interviews zu verschiedenen Aspekten der Mehrsprachigkeit befragt, wobei ein besonderer Fokus auf ihren familiären kroatischen Migrationshintergrund und die Umgebungssprache Deutsch gelegt wird. Ein zentrales Thema ist die Beziehung zwischen Sprache und Identität. 

Es stellen sich die Fragen, wie die kroatische Diaspora in Stuttgart ihre Identität konstruiert und inwiefern Sprache eine Schlüsselrolle bei dieser Identitätsbildung spielt. Wie von Kresić (2006) beschrieben, sind Identitäten "patchworkartig zusammengesetzte, zu einem wesentlichen Teil medial-sprachlich und dialogisch-kommunikativ erzeugte Konstrukte, die aus dem grundsätzlichen Sein-In-der-Sprache eines jeden Individuums ihre Kohärenz schöpfen". Auch Spracheinstellungen sind oft eng mit Identitätskonstruktionen verknüpft und variieren je nach Selbst- und Fremdpositionierung (König, 2014). 

Die Leitfragen der Gesprächsanalyse dieser Arbeit umfassen unter anderem: Welche Selbst- und Fremdpositionierungen nehmen die Befragten ein? Wie präsentieren sich die Befragten im Interview? Wie gestalten sie sprachlich ihre (narrative) Identität? Wie äußern sich die Befragten zur (eigenen) Mehrsprachigkeit? Wie positionieren sich die Befragten mit Migrationshintergrund sprachlich als mehrsprachige Individuen? 

In der Analyse werden sowohl die sprachlichen Mittel und formalen Ausdrucksformen untersucht, die die Befragten in ihren sprachbiografischen Aussagen und Spracheinstellungsäußerungen wählen als auch die Funktionen, die sie damit erfüllen. Die Gesprächsanalyse hebt die relevanten Äußerungen der Befragten im Interview hervor. 

Die bisherigen Ergebnisse zeigen, dass Identitäten in der sprachlichen Interaktion geformt und aufrechterhalten werden können und sich dabei jederzeit ändern können. Insbesondere bei den Nachkommen von Migrantinnen und Migranten ist häufig von "bilingualen Identitäten" die Rede, die mit komplexen kulturellen und identitätsbezogenen Beziehungen einhergehen. Die Herkunftssprache dient oft als symbolische Repräsentation familiärer, ethnischer und kultureller Identität. 

Die vorliegenden Sprachbiografien zeigen, dass die Familiensprache trotz besserer Kenntnisse der Umgebungssprache eine identitätsstiftende Funktion hat. Die meisten Befragten konstruieren eine transnationale Identität oder eine gleichzeitige Zugehörigkeit zu zwei nationalen Kontexten, in denen familiäre und außerfamiliäre Werte, Normen, Kulturen sowie Sprachen miteinander verschmelzen. Insgesamt drückt sich ein Wunsch nach Integration und Mitgliedschaft in verschiedenen Gruppen aus. 

Literatur:

König, K. (2014): Spracheinstellungen und Identitätskonstruktion. Eine gesprächsanalytische Untersuchung sprachbiographischer Interviews mit Deutsch-Vietnamesen, 2, Berlin/Boston: De Gruyter. 

Kresić, M. (2006): Sprache, Sprechen und Identität. Studien zur sprachlich-medialen Konstruktion des Selbst. München: Iudicium.