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71. Arbeitskreis Angewandte Gesprächsforschung, 30.11. + 01.12.2023

Über Sprache und sprachliches Handeln sprechen

(PDF-Version des Calls)

Das Nachdenken bzw. Sprechen über Sprache und über sprachliches Handeln kommt in Alltagsinteraktionen insbesondere dann vor, wenn interaktionsbezogene Probleme auftreten oder (vorausschauend) bearbeitet werden: etwa bei der Planung von „schwierigen Gesprächen“ mit dem:der Vorgesetzten, bei der Bearbeitung von Missverständnissen (z.B. in Kontexten des Wissenstransfers), bei der metakommunikativen Strukturierung von Gesprächen oder bei kommentierten Reformulierungen und Selbstkorrekturen, mit denen Sprecher:innen ihre Äußerungen präziser, klarer bzw. allgemein ‚besser‘ und angemessener gestalten wollen. In vielen beruflichen Feldern spielt ein reflexiver Zugang zu Sprache und Interaktion eine zentrale Rolle, z.B. bei der interaktiven und kommunikativen Gestaltung berufsfeldtypischer Gesprächssituationen (wie Anamnese- und Diagnose-Gesprächen, Beratungsgesprächen, der Gestaltung von Lehr-Lern-Settings o.ä.). In einigen Feldern ist die metasprachliche Ebene sogar explizites Thema von Interaktionen, z.B. als Lerngegenstand in der Deutsch-/Sprachdidaktik oder in der Sprach- und Kommunikationsberatung.

Die Linguistik beschäftigt sich seit Jahrzehnten mit Reflexivität als grundsätzlicher Eigenschaft von Sprache; Ausdruck davon sind auch theoretisch-analytische Konzepte wie Metasprache, Metapragmatik, Metasemantik, Metadiskurs, Metakommunikation (vgl. Spitzmüller 2019 für einen ideengeschichtlichen Überblick). Aktuelle empirische Untersuchungen finden sich z.B. in der Diskurs- und Medienlinguistik, Soziolinguistik oder Interaktionslinguistik (vgl. Busch/Droste/Wessels 2021), auch in der Deutschdidaktik ist Sprachreflexion ein prominentes Forschungsfeld, das u.a. – aber nicht nur – mit der Diskussion um den Grammatikunterricht und dem Erwerb grammatischer Kompetenzen von Schüler:innen zusammenhängt (vgl. Paul 1999, Bredel 2013).

Aus konversationsanalytischer Perspektive ist die Idee der Metasprachlichkeit zentralen Konzepten wie dem des „displays“ (Sacks et al. 1974), des „accounts“ (Heritage 1988) oder der „formulations“ (z.B. Heritage & Watson 1979) inhärent und für Fragen gemeinsamer Bedeutungsaushandlung (vgl. Garfinkel & Sacks 1970) zentral; in gesprächsanalytischen Arbeiten zu Formulierungsverfahren (z.B. Gülich 1992) und jüngeren Arbeiten zur Verstehensdokumentation (vgl. Deppermann & Schmidt 2009) bzw. zur interaktionalen Semantik (vgl. zusammenfassend Deppermann 2020) spielt Metasprachlichkeit in ihren verschiedenen Facetten eine wichtige Rolle als interaktive Ressource.

Die sprachlich-kommunikative Praxis des Sprechens über Sprache/sprachliches Handeln ist selbst als reflexiv zu verstehen, d.h. die Form, in der metasprachlich reflektiert wird, kann im Gebrauch selbst zum Zeichen werden. Damit stellen sich Fragen, die für die angewandte Gesprächsforschung bedeutsam sind, nämlich nach zugrundeliegenden Werthaltungen, Sprachideologien, sozialen Selbst- und Fremdpositionierungen, Akteurs- und Handlungstypen in Interaktionen und ihrem Bezug zu öffentlichen sprachreflexiven Diskursen (vgl. Spitzmüller 2013).

Im Rahmen der Arbeitstagung möchten wir uns mit angewandt-gesprächsanalytischen Perspektiven auf unterschiedliche Formen expliziter Thematisierung von Sprache und sprachlichem Handeln befassen. Dabei sollen unterschiedliche Kommunikationskontexte betrachtet werden, wie z.B. medizinische Kommunikation, Rechtsberatung, weitere Formen der Experten-Laien-Kommunikation, Sprachreflexion im (L1-/L2-)Sprachunter- richt und in mehrsprachigen Kontexten etc.

Folgende Fragen sollen dabei im Fokus der Arbeitstagung stehen:

  • Welche Rolle spielt Metasprache in verschiedenen Praxisfeldern? Welche Zusammenhänge lassen sich jeweils zwischen sprachbezogenen Wissensbeständen und interaktivem Handeln bzw. öffentlichem Diskurs und interaktiver Handlungssituation rekonstruieren?

  • Wie kann Wissen über Sprache/sprachliches Handeln in (hochschul-) didaktischen und auch (sprach-/kommunikations-)beraterischen Kontexten den Lernenden bzw. Klient:innen vermittelt werden – und auf welche Art, bzw. in welcher didaktischen oder „beraterischen“ Reduktion? Welche linguistischen Inhalte liegen hier nahe, wie werden sie didaktisch aufbereitet oder im Gespräch eingebracht? Auf welche Schwierigkeiten und Herausforderungen stoßen dabei sowohl Lernende/ Klient:innen/ Patient:innen, aber auch Lehrende, Beratende und Behandelnde?

  • In Gestalt welcher sprachlichen Praktiken und interaktiven Verfahren wird Metasprachliches/ Metakommunikatives verhandelt? Welche Herausforderungen, z.B. in terminologischer oder Vermittlungsperspektive, gehen damit für die Beteiligten einher?

  • Welche sprachbezogenen Normen und Einstellungen kommen dabei zum Ausdruck? In welcher sprachlichen Form? (Wie) hängt dies mit der Bearbeitung weiterer, interaktiv relevanter Aufgaben zusammen (Interaktionsorganisation, Identitätskonstruktion, Aushandlungen von Rollen und Membership Categorizations)?

Präsentationsthemen aus empirischen Arbeiten, die über das Rahmenthema hinausgehen, sind ebenfalls herzlich willkommen, sofern sie sich (auch) mit Fragen der Ange- wandten Gesprächsforschung beschäftigen.

 

Literatur

  • Bredel, Ursula (2013). Sprachbetrachtung und Grammatikunterricht. 2. Auflage. Paderborn: Schöningh.
  • Busch, Florian, Pepe Droste, & Wessels, Elisa (Hrsg.): Sprachreflexive Praktiken. Empirische Perspektiven auf Metakommunikation. Stuttgart: Metzler.
  • Deppermann, Arnulf (2020). Interaktionale Semantik. In: Hagemann, Jörg & Staffeldt, Sven (Hrsg.). Semantiktheorien II. Analysen von Wort- und Satzbedeutungen im Vergleich. Tübingen: Stauffenburg, 235-278. Deppermann, Arnulf & Schmitt, Reinhold (2009). Verstehensdokumentationen: Zur Phänomenologie von Verstehen in der Interaktion. In: Deutsche Sprache 36 (3), 220-245.
  • Garfinkel, Harold, & Sacks, Harvey (1970). On formal structures of practical actions. In: McKinney, John C. & Tiryakian, Edward A. (Eds.), Theoretical Sociology: Perspectives and Developments. Appleton-Century-Crofts, 337-366.
  • Gülich, Elisabeth (1992). Formulierungsarbeit im Gespräch. In: Čmejrková, Světla; Daneš, František, & Havlová, Eva (eds.), Writing vs. Speaking. Language, Text, Discourse, Communication. Proceedings of the Confer- ence held at the Czech Language Institute of the Academy of Sciences of the Czech Republic, Prague, October 14-16, 1992. Tübingen: Narr, 77-95.
  • Heritage, John (1988). Explanations as accounts: a conversation analytic perspective. In: Antaki, Charles (ed.), Analysing everyday explanation: a casebook of methods. London: Sage, 127-144.
  • Heritage, John C., & Watson, Don R. (1979). Formulations as conversational objects. In: Psathas, George (ed.), Everyday Language. Studies in Ethnomethodology. New York: Irvington , 123-162.
  • Paul, Ingwer (1999). Praktische Sprachreflexion. Tübingen: Niemeyer.
  • Sacks, Harvey; Schegloff, Emmanuel A., & Jefferson, Gail (1974). A simplest systematics for the organization of turn-taking in conversation. In: Language 50(4), 696-735.
  • Spitzmüller, Jürgen (2013). Metapragmatik, Indexikalität, soziale Registrierung: Zur diskursiven Konstruktion sprachideologischer Positionen. In: Zeitschrift für Diskursforschung 1(3), 263-287.
  • Spitzmüller, Jürgen (2019). Sprache‘ – ‚Metasprache‘ – ‚Metapragmatik‘: Sprache und sprachliches Handeln als Gegenstand sozialer Reflexion. In: Antos, Gerd, Niehr, Thomas, & Spitzmüller, Jürgen (Hg.). Handbuch Sprache im Urteil der Öffentlichkeit. De Gruyter, 11-30.