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Pirkko Friederike Dresing

Thema: Bildungssprachliche Normen: Lehrkräfte als Sprachnormautoritäten im inklusiven Kontext

Erstbetreuerin: Prof. Dr. Bettina M. Bock  ,Zweitbetreuer: Prof. Dr. Jörg Jost

Abstract: Mit Blick auf bildungssprachliche Kompetenzen als eine Grundvoraussetzung für Bildungserfolg und gesellschaftliche Teilhabe wird der Erwerb bildungssprachlicher Kompetenzen als entscheidendes Lernziel formuliert, auch für Schüler:innen mit spezifischem Förderbedarf (vgl. Becker-Mrotzek/Linnemann 2016). Bildungssprache kommt daher neben einer kommunikati­ven und epistemischen auch eine sozialsymbolische Funktion einer „Eintrittskarte“ zu (vgl. Morek/Heller 2012). Für Schüler:innen, die langfristig oder temporär auf sprachliche Adaption angewiesen sind, erwächst die bildungssprachliche Kompetenzorientierung zu einem Exklusions­risiko (vgl. Bock 2022).

Angesichts der Rolle von Lehrkräften als Sprachnorm­autoritäten (vgl. Ammon 2005) stellt sich aus der Perspektive einer inklusiven Sprachdidaktik insbesondere im inklusiven Fachunterricht die Frage nach der Funktionalität und Angemessenheit bildungssprachlicher Anforderungen und diesen Anforderungen zugrundeliegenden normativen Annahmen und Erwartungen, die mit der sprachlichen Gestaltung von Unterricht und Unterrichtsmaterialien einhergehen (vgl. Bock 2022, Morek/Heller 2012). Studien zu standardsprachlichen Normen von Lehrkräften weisen auf ein verengtes Normverständnis hin (vgl. z.B. Davies 2005); im inklusiven Unterricht können dadurch Lerngelegenheiten verhindert werden (vgl. Kern 2019). Ähnlich wie das Konstrukt der Standardsprache wird auch das Konstrukt der Bildungssprache häufig als einheitlich missverstanden und nicht in seiner Variationsbreite betrachtet. Im Zentrum meines Dissertationsprojektes steht deshalb die übergeordnete Frage, welche bildungssprachlichen Normvorstellungen der sprachlichen Gestaltung eines inklusiven Unterrichts zugrunde liegen. Ziel des Forschungsvorhabens ist es, die Rolle der Lehrkräfte als Sprachnormautoritäten in dem Spannungsfeld zwischen Teilhabeermöglichung und Exklusionsrisiko empirisch zu untersuchen.

Zur Beantwortung der Frage wurde zum einen ein schriftlich-quantitativer Fragebogen konzipiert, der sich an (angehende) Lehrkräfte der Sek. I aller Schulformen in Nordrhein-Westfalen richtet. Der Fragebogen erhebt Angemessenheitsurteile zu bildungs­sprachlichen Mitteln aus Lehrwerken und zu sprachlich vereinfachten Konstruktionen, um Bildungssprachlichkeit als ein kontextabhängiges, dynamisches Kontinuum abzubilden (vgl. Snow/Uccelli 2009). Zum anderen werden in Gruppendiskussionen mit (angehenden) Lehr­kräften Sprachnormen, Sprachideologien und Sprachidentitäten zum sprachlichen Handeln in inklusiven Lern­um­gebungen rekonstruiert.

 

Literatur

Ammon, U. (2005). Standard und Variation: Norm, Autorität, Legitimation. In L. M. Eichinger & W. Kallmeyer (Hrsg.), Standardvariation. Wie viel Variation verträgt die deutsche Sprache? (S. 28–40). Berlin, New York: de Gruyter.

Becker-Mrotzek, M. & Linnemann, M. (2017). Inklusive Fachdidaktik Deutsch. In K. Ziemen (Hrsg.), Lexikon Inklusion (S. 111–112). Göttingen: Vandenhoeck et Ruprecht.

Bock, B. M. (2022). Bildungssprachliche Norm – Abweichung in der Inklusion? In Der Deutschunterricht, 4, S. 27–38.

Davies, W. (2005). Deutschlehrer und Deutschlehrerinnen (in Deutschland) als Geber und Vermittler von sprachlichen Normen. In DAAD (Hrsg.), Germanistentreffen Deutschland – Großbritannien, Irland (S. 323–339). Dresden: Dokumentation der Tagungsbeiträge.

Kern, F. (2019). Grammatikunterricht. In C. Hochstadt & R. Olsen (Hrsg.), Handbuch Deutschunterricht und Inklusion (S. 338–352). Weinheim, Basel: Beltz.

Morek, M. & Heller, V. (2012). Bildungssprache – kommunikative, epistemische, soziale und interaktive Aspekte ihres Gebrauchs. In Zeitschrift für angewandte Linguistik, 57, S. 67–101.

Snow, C. E. & Uccelli, P. (2009). The Challenge of Academic Language. In D. R. Olsen & N. Torrance (Hrsg.), The Cambridge Handbook of Literacy (S. 112–133). Cambridge: University Press.