zum Inhalt springen

Nachrichten

Nachruf auf Erich Schön (1949-2025)

ehemaliger Professor am IDSL II

Nachruf auf Prof. Dr. Erich Schön (15. Juli 1949 – 17. Februar 2025)


Das Institut für deutsche Sprache und Literatur II trauert um den Literatursoziologen und Lese(r)forscher Prof. Dr. Erich Schön, der am 17. Februar 2025 in Konstanz im Alter von 75 Jahren verstorben ist.

Erich Schön studierte Germanistik und Slavistik an der Universität Konstanz, u.a. bei Wolfgang Preisendanz und Jurij Striedter. Nach einem erfolgreich abgeschlossenen Referendariat für das Lehramt an Gymnasien in Nordrhein-Westfalen wurde er 1983/84 mit einer Arbeit über „Die Entstehung unserer Art zu lesen“ promoviert, die 1987 u.d.T. „Der Verlust der Sinnlichkeit oder Die Verwandlungen des Lesers“ bei Klett-Cotta veröffentlicht und 1993 neu aufgelegt wurde. 1996 habilitierte er sich kumulativ mit seinen Arbeiten zur literarischen Sozialisation (venia legendi: Neuere deutsche Literaturwissenschaft) an der Universität Konstanz, wo er von 1984 bis 1997 allgemeine und deutsche Literatursoziologie lehrte. 1997 erhielt er einen Ruf an die Universität zu Köln, wo er bis 2013 den Lehrstuhl für deutsche Sprache und ihre Didaktik / Literaturwissenschaft und Literaturdidaktik an der Erziehungswissenschaftlichen (später: Philosophischen) Fakultät inne hatte. Nach seiner Pensionierung zog es ihn wieder zurück an den Bodensee, wo er bis zu seinem Tod in Konstanz lebte und arbeitete.

Auf seine einflussreiche, historisch angelegte Studie zum Lesen folgten vielfältige Untersuchungen zur literarischen Rezeption sowie zum historischen und aktuellen Lese- und Medienverhalten: Erich Schöns Forschungen widmeten sich u.a. dem weiblichen Lesepublikum und dem ‚weiblichen Lesen‘; darüber hinaus befasste er sich mit Fragen nach konkreten Lesestoffen, Lese-Orten, der Lesekultur und nicht zuletzt dem Leseglück. Im Mittelpunkt von Erich Schöns Forschungsinteressen stand immer der lesende Mensch: Für die Untersuchung der Entwicklung und Prozesse innerhalb der literarischen Sozialisation realer Leserinnen und Leser baute er daher über Jahrzehnte hinweg ein umfangreiches Archiv an Lesebiographien auf. 

Darüber hinaus widmeten sich seine Forschungen dem aktuellen Leseverhalten in Deutschland sowie der Entwicklung und Zukunft des Lesens im sich stetig verändernden Medienverbund. Die daraus erwachsenden Fragen nach den didaktischen Konsequenzen und Herausforderungen fanden Eingang in eine Vielzahl von Beiträgen, wobei sich der Fokus u.a. auf die Debatten um Lesekompetenz und literarisches Lesen im Nachgang der PISA-Studien (2000 ff.) richtete.

Vor diesem Hintergrund und nicht zuletzt auf Grundlage seiner hochschuldidaktischen Praxis im Rahmen des Lehramtsstudiums hat er sich stets auch mit Aspekten des Verstehens und mit Fragen der Vermittlung von Literatur auseinandergesetzt. Es war ein dringendes Anliegen von Erich Schön, die Bedeutung von literarischem Lesen als essenzielle Grundlage für die Bildung des Menschen, im Sinne einer Teilhabe an kultureller Identität und von ‚Menschenbildung‘, zu betonen und eine Klammer zu schaffen zwischen der historischen Entwicklung der Phänomene sowie deren aktueller Relevanz und Förderung.

Dennoch geriet auch die Literatur im engeren Sinn als Faktor der ästhetischen Entwicklung und Profilierung nie aus seinem Blick. So richtete sich Erich Schöns Aufmerksamkeit wiederholt auch auf Aspekte des Kanons, die, fern von bloßen Geboten, lesebiographisch und sozialisationsgeschichtlich erörtert und verankert wurden.


Wir verlieren einen ebenso renommierten wie leidenschaftlichen Wissenschaftler, einen engagierten Lehrer sowie einen menschenfreundlichen und großzügigen Kollegen.

*